Kriegstüchtigkeit und/oder Friedensgebot ? Wo bleibt die Beachtung des Völkerrechtes?
Wir erinnern uns: In einem ZDF-Interview bei BONN-DIREKT Ende letzten Jahres sprach Verteidigungsminister Boris Pistorius von einem notwendigen „Mentalitätswechsel“:
„Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte. Und das heißt: Wir müssen kriegstüchtig werden. Wir müssen wehrhaft sein. Und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.“
Der Bundesminister der Verteidigung Boris Pistorius spricht am 1.2.2024 bei der Debatte zum Haushaltplan 2024:
„Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif“, „Krieg verhindern kann nur, wer sich darauf vorbereitet“, für die Bundeswehr stehen im Haushaltsplan 2024 72 Milliarden € für „unsere Streitkräfte zu Verfügung“, höchster Wert seit Bestehen der Bundeswehr, „gleichzeitig Befähigung zu ihrem Kernauftrag, einer zeitgemäßen Landes- und Bündnisverteidigung“,
Der Begriff „Kriegstüchtig“ war von ihm in der Debatte nicht zu hören! Wo aber bleibt vom Bundesverteidigungsminister der Hinweis auf Grundgesetz und Völkerrecht? Auf das Friedensgebot?
In einer Mail vom 3.11.2023 an den Bundesverteidigungsminister begründete ich meine Unterstützung des offenen Briefes der IPPNW, Regionalgruppe Landsberg (siehe Anhang). Der Antwortbrief des BMfV vom Team Bürgerdialog (vielen Dank für die schnelle und ehrliche Antwort!) sollte mir erläutern, was der Bundesminister mit seiner Forderung nach Kriegstüchtigkeit meinte:
„…In Artikel 87a des Grundgesetzes heißt es: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf….Spätestens mit der Zeitenwende und dem brutalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, muss der Auftrag der Bundeswehr wieder verstärkt an Landes- und Bündnisverteidigung orientiert sein. So hat es der Minister mit dem Begriff „kriegstüchtig“ beschrieben. Damit zeichnet er ein Zielbild der Bundeswehr, meint aber auch darüberhinausgehende, gesamtgesellschaftliche Folgerungen.“ Also: „militärischen Fähigkeiten für einen Verteidigungsfall bereithalten….Ausbildung und Übungen sind auf den Ernstfall ausgerichtet…Kriegstüchtig heißt allerdings mehr. Es bedarf zudem einer funktionierenden Rüstungsindustrie, die schnell und innovativ produzieren kann…in besonderem Maße sind auch Resilienz, sprich Widerstandsfähigkeit bzw. Wehrhaftigkeit, der Gesellschaft nötig… es muss Einvernehmen bestehen, dass die Verteidigungsausgaben notwendig sind, damit die Bundeswehr für einen Verteidigungsfall gerüstet und kriegstüchtig ist…“ und das Beste zum Schluss: „. Im Kalten Krieg war ein Slogan: „Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen.“ Der Generalinspekteur hat es jüngst so formuliert: „Gewinnen wollen. Weil wir gewinnen müssen.““
Wenn diese letzten beiden Zitate die Zusammenfassung der Zeitenwende sind: bisher Rüstung zur Abschreckung und ab sofort Rüstung für den Sieg (wohl über über den Gegner!), dann, Herr Pistorius, haben wir uns falsch verstanden und ich bleibe bei meiner Ablehnung gegen eine weitere Aufrüstung im Rahmen der Zeitenwende mit einem Ziel, welches m.E. mit dem Grundgesetz nicht mehr vereinbar ist. Das Grundgesetz setzt im Artikel 26 fest:
- Verbot aller Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören
- Verbot, die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten
Dass hier nur die Vorbereitung der Führung eines Angriffskrieges und nicht die Führung des Angriffskrieges selbst verboten wird, ist bemerkenswert und ein lange, von Juristen und Friedensforschern kritisierter Mangel des Textes!
Im Artikel 25 des Grundgesetzes wird weiter festgehalten, dass
„die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteile des Bundesrechtes sind. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“
Zu diesem Völkerrecht gehört u.a. der „Vertrag über die Ächtung des Krieges“ vom 27.08.1928. Diesem Vertrag ist Deutschland beigetreten. Dieser Vertrag ist auch heute noch gültig und sieht bindend vor, dass die Vertragsparteien „den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen“ und auf ihn „als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten.“
Siehe auch: https://www.friedenskooperative.de/friedensforum/artikel/das-friedensgebot-des-grundgesetzes-und-der-un
In der o.g., für mich folgerichtigen Interpretation der Zeitenwende sehe ich einen drohenden Verstoß der aktuellen Politik der Bundesregierung gegen dieses Völkerrecht!
Einer glaubwürdigen Friedenspolitik, glaubwürdig gegenüber den Bewohnern der Bundesrepublik, für die das Grundgesetz die Grundlage für ein friedliches Miteinander ist, und glaubwürdig gegenüber allen Völkern Europas und der Welt, für die die Charta der Vereinten Nationen und das Völkerrecht ein friedliches Miteinander garantieren sollen, dieser Glaubwürdigkeit stehen u.a. entgegen:
- Die Atomwaffenlagerung auf deutschem Boden und deren Anwendung im Rahmen der „Nuklearen Teilhabe“,
- Die Beschaffung der F35-Bomber zum Transport der Atombomben mit deutschen Kampfjets im Rahmen der Zeitenende und des 100-Milliarden Sondervermögens für die Bundeswehr,
- Die drohende Eskalation des russischen Angriffskrieges durch grenzenloses Aufrüsten der Ukraine zu einem atomaren Krieg
- Deutschlands Nicht-Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag (immerhin hat Deutschland an der zweiten Vertragsstaatenkonferenz im Dezember 2023 als Beobachter teilgenommen), der Atomwaffensperrvertrag reicht längst nicht mehr aus, da die Atommächte keinerlei Anstrengungen mehr unternehmen, ihr Waffenarsenal wirklich zu minimieren.
Diese Politik der Abschreckung durch immer weitere Aufrüstung, selbst mit Atomwaffen, kann keine Abschreckung sein, sie führt unweigerlich zum Krieg. Seit dem zweiten Weltkrieg gab es weltweit über zweihundert kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Staaten und Staatengruppen, teils unter Beteiligung demokratischer Staaten, der NATO, der EU, teils unter fadenscheinigen Gründen und falschen Behauptungen und teils mit peinlichen Niederlagen. Keine Abschreckung der Welt hat sie verhindert. Im Gegenteil: Putin begründet seinen neuesten Angriffskrieg geradezu mit der Bedrohung durch aufgerüstete NATO-Staaten. Israel ist als hochgerüsteter Staat mit Atomwaffen Opfer eines blutigen Angriffes geworden. Zumindest teilweise scheint die Hochrüstung eher zum Angriff zu ermutigen oder zu verführen.
Ein (Schlacht-)Ruf nach Siegern und Gewinnern in kriegerischen Auseinandersetzungen, wie es aus dem Bundesverteidigungsministerium zu hören ist (siehe oben), ist kontraproduktiv jeder friedenspolitischen Initiative. Jede ideologische Weichspülerei von Kriegszielen zu Kriegsspielen kostet am Ende unschuldige Opfer, verwüstet Natur und Lebensräume für Mensch und Tier.
Unser Verteidigungsminister muss uns nicht daran gewöhnen, dass es Krieg in Europa geben kann.
Erstens leben die Schrecken des Zweiten Weltkrieges und seiner Ursachen in der Erinnerung Deutschlands und Europas fort. Auch dagegen gehen derzeit hunderttausende Bürger in Deutschland auf die Straße und zeigen in Demonstrationen und Kundgebungen Farbe gegen Rassismus und seine menschenverachtende Kriegstreiberei. In Osnabrück sprach auch Bundesverteidigungsminister Pistorius auf der Kundgebung.
Und zweitens, Herr Pistorius, sind wir gut informiert über die Kriegshandlungen an der Grenze unseres Europas, wissen Bescheid über den Sinn und Unsinn von Militärmaterial von Stahl-Helmen bis zum Taurus-System. Mehr Gewöhnung brauchen wir nicht. Wir brauchen konkrete Vorschläge für stufenweise, erfolgversprechende Friedensverhandlungen für den Krieg in der Ukraine, aber auch in Palästina und zur Vermeidung weiterer Schlachtfelder. Wir verlangen Schritte zur Widerherstellung eines allseits anerkannten Friedenzustandes und dessen Erhaltung.