„Der Krieg in der Ukraine verursacht jeden Tag auf Neue Leid, Tod und Verwüstung. Mit jedem Tag, den der Krieg länger dauert, kommen mehr Menschen ums Leben, werden körperlich verletzt oder psychisch traumatisiert, verfestigen sich Feindbilder. Wir sind zutiefst erschrocken über die maßlose Zerstörung der ukrainischen Infrastruktur, die Bombardierungen von Gesundheitseinrichtungen eingeschlossen.
Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte hat seit dem Einmarsch russischer Truppen am 24. Februar 2022 den Tod von fast 10.000 Zivilist*innen in der Ukraine dokumentiert, etwa 17.000 wurden verletzt. Laut der New York Times wurden auf beiden Seiten insgesamt etwa 500.000 Soldat*innen getötet oder verwundet. Bis diesen September haben rund 27 Millionen Menschen die Ukraine verlassen, schätzt das UN-Flüchtlingskommissariat.
Wir sind besonders empört über den Einsatz geächteter Waffen wie Landminen und Streumunition. In der Ukraine ist bereits ein Drittel des Landes vermint. Laut den UN wurden bereits bis April diesen Jahres mehr als 740 Zivilist*innen von Minen oder anderen zurückgebliebenen Sprengstoffen verletzt oder getötet. Würden 500 Minenräumdienste heute mit der Räumung beginnen, bräuchte es 700 Jahre, bis die Ukraine wieder minenfrei wäre.
In der Ukraine können schwer verletzte Minenopfer oft nicht behandelt werden. Daher werden sie in deutschen Krankenhäusern versorgt, allein die Uniklinik in Bonn hat mehr als ein Dutzend Minenopfer aufgenommen. Laut einem UN-Bericht haben sowohl Russland als auch die Ukraine im vergangenen Jahr Streumunition in von Zivilist*innen bewohnten Gebieten eingesetzt. Menschen treten in den Ruinen ihrer Häuser, im Garten oder sogar auf Friedhöfen auf Landminen. International sind Anti-Personenminen geächtet, weil sie vor allem auch für die Zivilbevölkerung eine große Gefahr darstellen, nicht nur für Soldat*innen.
Wir verurteilen den Einsatz von Streumunition durch die russische Armee genauso wie die Lieferung der geächteten Streumunition durch Großbritannien und die USA an die Ukraine. Zwar sind die USA und die Ukraine sowie Russland dem Übereinkommen über Streumunition nicht beigetreten, aber das humanitäre Völkerrecht verbietet Waffen, die unterschiedslos Kämpfer als auch Zivilist*innen treffen. Blindgänger werden praktisch zu Landminen, die noch Jahre und Jahrzehnte später zu Verstümmelung oder dem Tod von Zivilist*innen führen.
Die Ottawa-Konvention zum Verbot von Antipersonenminen, die von 164 Staaten ratifiziert haben, verbietet jeglichen Umgang mit diesen Waffen. Antipersonenminen verursachen besonders grausame Verletzungen. Sie töten wahllos, ohne zwischen Freund und Feind zu unterscheiden, was gegen jede Regel des Völkerrechts verstößt. Der jahrzehntelange Einsatz von Antipersonenminen in vielen Ländern dieser Erde hat ein langfristiges Erbe an Tod, Verletzung und Leid hinterlassen. In mehr als 80 Prozent aller Fälle töten oder verletzen sie völlig unbeteiligte Menschen – oftmals erst Jahre später.
Als Ärzt*innenorganisation setzen wir uns dafür ein, Waffen wie Landminen und Streubomben mit derart inakzeptablen humanitären Auswirkungen zu ächten und abzuschaffen. Und hier komme ich zu dem Kernanliegen unserer Ärzt*innenorganisation: Atomwaffen sind die destruktivsten und unmenschlichsten Waffen, die der Mensch je geschaffen hat. Sie haben das Potential, auf einen Schlag das Leben von Millionen von Menschen zu zerstören, das Weltklima nachhaltig zu verändern und der Gesundheit zukünftiger Generationen zu schaden.
Präsident Putin hat mehrfach mit Atomwaffen gedroht. Wir verurteilen diese Drohung mit Massenvernichtungswaffen scharf. Die Friedensnobelpreisträgerorganisation IPPNW fordert Russland und die NATO auf, in einer verbindlichen Erklärung auf einen Ersteinsatz von Atomwaffen zu verzichten. Mehrere Friedensnobelpreisträger*innen und mehr als eine Millionen Menschen weltweit unterstützen diese Forderung.
Die verschärfte nukleare Rhetorik macht sehr deutlich, dass das Risiko eines Atomwaffeneinsatzes gestiegen ist. Die Weltuntergangsuhr steht auf 90 Sekunden vor Mitternacht. Das völkerrechtliche Instrument, um den Druck auf die Atomwaffenstaaten für die Abschaffung dieser Massenvernichtungswaffen zu erhöhen, ist der UN-Vertrag für ein Verbot von Atomwaffen, der die Androhung und den Einsatz von Atomwaffen verbietet. Die Mehrheit der Staaten in der Welt hält Drohungen mit Atomwaffen für inakzeptabel. Schon 91 Staaten weltweit haben den Verbotsvertrag unterzeichnet, 68 Staaten sind ihm beigetreten. Auch die deutsche Bundesregierung muss endlich ein Zeichen setzen und den UN-Vertrag für ein Verbot von Atomwaffen unterzeichnen! In dieser Woche findet in ganz Deutschland die Aktionswoche “Jetzt erst recht!” statt. Ziel ist es, politische Entscheidungsträger*innen dazu zu bewegen, sich aktiv für Deutschlands Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag einzusetzen.
Und zum Abschluss noch ein Wort an unseren Bundeskanzler und seine Rede vor der UN-Generalversammlung. Sie haben in New York vor „Scheinlösungen“ gewarnt und fordern einen „gerechten Frieden“. Ich frage Sie, Herr Scholz: Wie viele tote Ukrainer*innen und Russ*innen, wie viele weitere Minenopfer, wie viele Menschen, die ihre Heimat verlieren, wie viel zerstörte und kontaminierte Natur und wie viele Tonnen verbranntes Getreide sind Sie bereit, für diesen „gerechten Frieden“ in Kauf zu nehmen?
Wir fordern mit den UN: Verdoppeln Sie Ihre Friedensanstrengungen im Einklang mit der UN-Charta! Unterstützen Sie Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen. Dafür liegen viele Initiativen auf dem Tisch – vor allem der Länder des Globalen Südens.
Angelika Wilmen ist Friedensreferentin der deutschen IPPNW.
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