Transplantationsmedizin im Umbruch
Am 3. Dezember 1967 gelang den südafrikanischen Transplantations-Chirurgen Christiaan Barnard und Hamilton Naki in Kapstadt die erste kurative Herztransplantation am Menschen. In Deutschland erfolgte die erste Herztransplantation 1969 durch den Chirurgen Rudolf Zenker in München. Heute ist die Herztransplantation in den 26 deutschen Herztransplantationszentren sicherlich kein „Routineeingriff“, aber eine Operation, welche nach strengen Regeln der Chirurgie, der medizinischen Ethik und im Rahmen einer europäischen Dachorganisation „routiniert“ und verantwortungsbewusst durchgeführt wird.
Kopftransplantation! Ein schlechter Witz?
Aus Italien kommen nun die auf wissenschaftlichen Kongressen ernsthaft diskutierten Ideen und Vorschläge für die weltweit erste „Kopftransplantation“. Abgesehen von den äußerst anspruchsvollen Hürden, welche die Neurochirurgie in diesem Falle noch zu überwinden hat, stehen auch weitere, beteiligte Fachdisziplinen für solch einen Eingriff vor bisher ungelösten Problemen.
Vielmehr allerdings interessiert mich: Was wird eigentlich transplantiert? Der vom Körper abgetrennte Kopf oder ein vom Kopf getrennter Körper? Wird hier, medizin-ethisch und forensisch gesehen, über eine Kopftransplantation spekuliert oder über eine kopflose Voll-Körpertransplantation?
Der italienische Neurochirurg Sergio Canavero sprach auf der Konferenz der American Academy of Neurological and Orthopaedic Surgeons in Annapolis davon, bereits einen Patienten zu haben, der körperlich so krank sei, dass dieser bereit wäre, seinen Kopf auf einen gesunden Körper eines dann notwendigerweise hirntoten Patienten transplantieren zu lassen. Canavero hat ausführliche Protokolle veröffentlicht, wie diese Operationen erfolgversprechend durchgeführt werden könnten. Wenn Canavero zitiert wird „er habe schon einen Empfänger“, kann nur der Kopfgesunde (oder der gesunde Kopf, wenn es denn so ist!?) das postoperative Individuum (Subjekt) sein, welches dann gerettet wurde. Ebenso wie der zurechnungsfähige, mündige und dem Tode geweihte Herzkranke, der ein neues Herz erhält oder der Handamputierte, welcher wieder seine oder eines anderen Hand erhält. Der hirntote Patient, dem der vermeintlich gesunde Kopf transplantiert wird, ist hierbei lediglich ein Objekt.
Empfängerausweis statt Spenderausweis?
Die Entscheidung zur Organtransplantation und die Einwilligung zu dem jeweiligen Eingriff trifft normalerweise sowohl der Spender (siehe Spenderausweis) entweder für den Fall seines Ablebens oder z.B. für den Fall seines Weiterlebens (Niere etc.) an einen Verwandten, als auch der Empfänger, welcher häufig nach langer Krankheit durch die Transplantation eines gesunden Organs wieder ein lebenswertes Weiterleben erwartet. In beiden Fällen sind Subjekt und Objekt eindeutig differenzierbar. Der Spender ist Subjekt. Er ist bereit im Falle seines Ablebens einen gesunden Teil seines Körpers (ein Objekt im strengen Sinne) einem Empfänger zu überlassen. Der Empfänger ist ebenfalls Subjekt und willigt in die Transplantation dieses Organs (Objekt) ein, um überleben oder lebenswert weiterleben zu können.
Die sog. Kopftransplantation stellt die Verhältnisse auf den Kopf!
Der zu transplantierende Kopf kann niemals Objekt sein, da nur er selbst entscheiden kann, ob er „transplantiert“ wird oder nicht. Er kann also auch niemals der „Spender“ sein, sondern nur der „Empfänger“. Demgegenüber ist der „gesunde“ Körper des hirntoten Patienten, der einen „gesunden“ Kopf erhalten soll, auch nicht der Empfänger, sondern der Spender. Hierbei ist sein Körper streng genommen das Objekt. Er müsste nach hiesigen Gesetzen auch in die Körpertransplantation vor seinem Tode eingewilligt haben. Er wird dagegen nicht in die Transplantation des gesunden Kopfes eines fremden Menschen einwilligen können, um weiterzuleben. Der anatomische Körperteil Kopf mit seinem Gehirn ist anthropologisch, neurowissenschaftlich und psychologisch kein Organ wie Leber und Herz. Man kann den Kopf aus diesem Grunde auch nicht im Sinne einer Organtransplantation – als Objekt – transplantieren.
Wenn also bei dieser ins Abseits führenden Diskussion über Kopftransplantation gesprochen wird, werden sämtliche Prinzipien der medizinischen Ethik, Erkenntnisse der modernen Neurowissenschaft und kulturelle Grundlagen der Menschheitsgeschichte in Frage gestellt.
Erste erfolgreiche Penis-Transplantation
Eine weitere Meldung aus der Transplantationsmedizin erreichte uns vor 2 Monaten. In Südafrika (sic!) an der Urologischen Fakultät der Universität Stellenbosch wurde die erste erfolgreiche Penistransplantation durchgeführt. Vor Beantwortung der Frage nach Sinn und Unsinn einer Penistransplantation ist zu berücksichtigen, dass pro Jahr in Südafrika bis zu 250 Männer penisamputiert werden müssen, weil viele von Nicht-Ärzten vorgenommene Beschneidungen mit Komplikationen verbunden sind, welche so gravierend sind, dass eine Amputation nicht zu umgehen ist.
Eine weitere Meldung zu dem bereits im Dezember 2014 operierten Patienten wird von dem leitenden Arzt der Abteilung André van der Merwe nun herausgegeben: Die Operation war so erfolgreich, dass die Lebensgefährtin des Patienten schwanger ist. Das Organ ist demzufolge voll funktionsfähig – nach einer neunstündigen hochkomplexen Operation und entsprechender psychologischer Betreuung des Patienten.
Niedrige Praeventionskosten – hohe Behandlungskosten
Bei aller Euphorie über die medizinischen Leistungen und die Freude über die individuelle Hilfe für einen 21-jährigen Mann und seine Lebensgefährtin zeigt die Situation im südlichen Afrika folgendes:
Der Zusammenhang zwischen der Notwendigkeit einer breiten Aufklärung über die Nachteile traditioneller Riten wie der Beschneidung unter steinzeitlichen medizinischen Bedingungen und dem damit verbundenen gesamtgesellschaftlichen Schaden ist evident. Der Schaden besteht in sozialer Ausgrenzung, in körperlichen und psychischen Behinderungen und evtl. immensen Behandlungskosten – sollte der Betroffene das Glück haben, in der medizinisch notwendigen Behandlung zu landen. Breite Aufklärung ist nicht ohne begleitende gesetzliche Regelungen durchführbar. Diese Regelungen wiederum müssen entsprechend kontrolliert und Zuwiderhandlungen sanktioniert werden. Ein trauriges, aber typisches Beispiel für die Hartnäckigkeit überkommener Traditionen liest man dieser Tage in den Medien: In Ägypten wurde dieses Jahr erstmalig ein Beschneider eines jungen Mädchens strafrechtlich belangt, obwohl bereits 2007 entsprechende Gesetze gegen die weibliche Beschneidung erlassen wurden. Der Anlass: Das Mädchen starb nach der Genital-Verstümmelung!
Nicht vergleichbare Operations- und Behandlungskosten
Während bei der für 2017 geplanten Operation Canaveros 10 Millionen Euro veranschlagt werden, ist der „Preis“ für eine Herztransplantation in Deutschland 170.000 Euro (Stand 2012)
Welche Kosten will sich eine Gesellschaft für die Gesundheit ihrer Mitglieder leisten? Während in Deutschland die Kosten in der Regel von gesetzlichen oder privaten Krankenkassen übernommen werden, wenn es sich um medizinisch notwendige Behandlungen handelt, sind die Verhältnisse in Südafrika, aber auch in Italien oder den USA völlig unterschiedlich. Die Kosten für medizinisch notwendige Organ-Transplantationen trägt also in Deutschland weitgehend die Gesamtgesellschaft.
Spenderausweis für jeden?! Aufklärung tut auch in Deutschland not!
Der Erfolg einer funktionierenden Transplantationschirurgie ist abhängig von einer genügenden Anzahl von Spendern. Die Unregelmäßigkeiten bei der Organisation der Organtransplantation einiger deutscher Universitätskliniken haben in der Bevölkerung verständlicherweise zu einem Rückgang der Transplantationsbereitschaft geführt, die sich erst langsam wieder bessert. Das Vertrauen in die Transplantations-Chirurgen ist gestört. In der ersten, jetzt abgeschlossenen strafrechtlichen Auseinandersetzung ging es bekanntlich um Datenmanipulation und fragwürdige Operationsindikationen. Weitere Prozesse werden folgen.
Die Transplantationsmedizin ist in Deutschland und Europa auf einem hohen wissenschaftlichen und organisatorischen Niveau. Zentrale Register, allgemeine Leitlinien, Qualitätskontrollen, ein hohes chirurgisches Know-how und effektive Auswahlkriterien vermögen üblicherweise Spender und Empfänger mit minimierten Risiken und optimierten Verträglichkeiten zusammenzuführen.
Unabhängig von weiteren zukünftigen Hochleistungen der Medizin – auch in der Transplantationschirurgie – müssen die Menschenrechte, humanistische Prinzipien und das Wohl des Patienten die Leitlinie unseres Handelns sein.