MEINE REISE NACH KOOLO HINDE/GUINEA (10-13) und EPILOG
TAGEBUCH-PROTOKOLL 27.01.2017 – 18.02.2017 (10)
14.2. Dienstag. Der Abreisetag! Ich wache 5 min vor dem Wecker auf, der auf 5.00 h stand. Stehe auf, mache mich fertig. Kurzwäsche – auch das geht. Dann nochmal Koffer- und Gepäckinhalte überdenken und die beiden großen Stücke gehen raus: Meine große schwarze „Madagaskar-Tasche“, die auf der Hinreise mit 25 kg Medikamenten und Zubehör voll, eigentlich etwas zu voll war und jetzt doch erhebliche Freistellen aufweist, trotz Schnitzwerk, Honig, Erdnüssen etc und der große Rucksack. Sein Appendix – der kleine Rucksack, sog. Daypack, und die braune Tasche für die Insel. Um 7.00 h pünktlich geht es los, nachdem die Gepäckstücke nach Insel und Bailo getrennt und wir uns auch auf die drei Autos verteilt hatten. Ich sicherte mir einen Platz im vordersten Wagen, der Wagen von der Distriktverwaltung aus Dabola (darüber ist noch Faranah, Regionalverwaltung, darunter Dogomet, Kreis). Ich konnte mich sogar vorne als Beifahrer hinsetzen, da Bailo nicht vorne sitzen wollte. Zwei Glücksumstände, die mir die lange Reise mit Staub und Enge erleichterten. James saß hinten links und Eva in der Mitte. Aber es hatte die letzte Nacht gegen Mitternacht ein weinig geregnet, was den Staubgehalt der Straße am Anfang doch reduzierte, zumindest die ersten beiden Stunden. Die Holperstrecken über Dogomet dauerte eine knappe Stunde mit schönen Sonnenaufgangsszenen und dann bogen wir wieder auf die Nationalstraße 1. Die Prioritätsstraße 1 in Guinea. Eigentlich eine Katastrophe. Es war einmal eine schnelle Verbindungsstraße quer durch Guinea, die nach Mali und Liberia führt. In den letzten Jahren ist der Zustand immer schlechter geworden. Man kann auch nicht sagen, dass nichts dran gearbeitet wird. Aber so sind z.B. große Teile von Asphalt abgefräst, weil die Schlaglöcher zu zahlreich und zu groß sind. Die Abschnitte, wo der Asphalt noch erhalten ist haben entsprechend viele neue Schlaglöcher. Die Absätze zwischen Asphalt und Nichtasphalt sind bis zu Bürgersteigkanten-hoch. Das Problem ist jetzt nur, dass auch die abgefrästen Abschnitte wieder asphaltiert werden müssen. Normalerweise sind dafür in Guinea Chinesen zuständig. Aber die werden auch nur arbeiten, wenn sie Geld dafür erhalten. Unser Fahrer ist im Slalomfahren sehr geschickt. Die Fahrt ging trotzdem zügig voran, verglichen mit unserer Hinreise. Erst um 12.00 h mussten wir bei brüllender Hitze auf freier Strecke eine Zwangspause einlegen, da der rechte Vorderreifen geplatzt war. Die Anforderungen der je nach angefahrener Geschwindigkeit empfundenen scharfen Kanten im Asphalt waren zu groß. Die SCHLAG-löcher zeigten ihre Wirkung und machten ihrem Namen alle Ehre. Wir legten einen F1-verdächtigen, 20-minütigen Reifenwechsel hin (inklusive Ent- und Bepacken der Ladefläche, um an den tatsächlich auch noch funktionsfähigen Reservereifen zu kommen). Die freien Ladeflächen waren natürlich mit einer Plane abgedeckt, um das Gepäck zu schützen. In Kindia konnte der Reifen dann repariert, bzw. erneuert werden. Wir nutzten die Zwischenzeit für unseren geplanten Besuch einer Schnitzer-Werkstatt. Djiba Fofana hieß der Geschäftsinhaber und Sidimé Moussa der Meisterschnitzer, der gerade dabei war, hinter der Hütte mit einigen Kollegen, bzw. Schülern und Helfern, eine große Statue anzufertigen. An der Frontwand des Ausstellungsraumes hingen einige schöne, ältere Masken. Während einige Kollegen heftig über Preise verhandelten, ließ ich mir einiges über die Masken erzählen. Drei ähnliche Gesichtsmasken gefielen mir besonders. Über die Augen-Wangen-Partie war ein roter Leinenstreifen befestigt. Zur Initiation und anderen Festen bei den Kono (Waldguinea und Sierra Leone) würden sie getragen. Auf dem 1.000 GFR-Schein ist sie abgebildet. Ich entscheide mich für die Maske, deren Ausdruck mir am stärksten und deren Proportionen mir am gefälligsten vorkamen. Mein erhandelter Preis beträgt 160.000 GFR. Bei den anderen Kollegen, die Masken und diese schönen 2-Brett-Stühle kaufen, hilft Bailo engagiert beim gerechten Preisfinden. Er lässt nicht zu, dass seine Leute über den Tisch gezogen werden.
Nach Erledigen dieser von Eva und Andreas eingeplanten Pflichtübung (Bailo wollte lieber einen Schnitzer in Conakry besuchen) konnten die Wagen 2 und 3 schon weiterfahren. Unser Wagen wartete noch auf Fertigstellung der Radreparatur. In der Zwischenzeit konnten wir dann noch zum nahegelegenen ehemaligen Bahnhofsgebäude aus Kolonialzeit gehen; ein zerfallendes, ehemals sicher schönes, stattliches Funktionsgebäude, hinter dem von den beiden alten Gleisanlagen nur noch die kurzen Schienenstränge existierten, auf denen jetzt noch zwei rostige Bahnwagen standen. Ansonsten war das Gelände übergegangen in das übliche kleinstädtische Gewimmel der Händler und Verkäufer, bzw. von der Natur zurückerobert. Eine kurze Fahrer-Essenspause legten wir übrigens wieder in der „Geierstadt“ Linsan eingelegt – wie auf der Hinreise. Wir deckten uns wieder mit Fleischspießen, Bananen, Maiskolben und kalten Getränken am Straßenrand ein. Unser Fahrer war wirklich ein Fahrkünstler, ein mutiger Kreativmann am Steuer. Einige Kilometer hinter Kindia kamen wir bei zunehmendem Verkehr an eine Engstelle, an der unsere Fahrspur wegen Straßenbauarbeiten (sic!) gesperrt war. Die Bezeichnung „Meine“, „Unsere“ Fahrspur wird juristisch in Guinea keine Chance auf richterliche Unterstützung haben. Denn es wird die Fahrspur befahren, die die wenigsten Schlaglöcher hat. Es kann auch mal 100 m über die sogenannte Gegenspur oder sogar deren Straßenrand gehen. Also die rechte Fahrspur war gesperrt. Auf der aufgeworfenen Straßenoberfläche bewegte sich tatsächlich schweres Arbeitsgerät. Die Sperrung lag in einer leichten Linkskurve und war vielleicht 100 m lang. Dadurch musste sich der Verkehr beider Richtungen die linke Spur teilen, was aber eigentlich nicht ging, da sie wirklich nur die Breite höchstens eines LKW hatte. Da kein Mensch anwesend war, der den Verkehr der beiden Richtungen hätte regeln können, befanden sich entgegenkommende Fahrzeuge in der Mitte der Sperrung. Es stand sich ein Bus der Gegenrichtung und ein Tankwagen aus unserer Richtung gegenüber wie zwei Sumoringer, dazwischen stand noch verloren und zur Seite in den Graben gedrängt ein kleiner Kombi. Hinter beiden „Lastautos“ standen aber mittlerweile auch schon etliche PKW und Lieferwagen, für die es auch kein vorwärts und rückwärts mehr gab, u.a. wir selbst. Unser Fahrer stellte den Motor aus und verließ das Auto. So ging ich mit Fotoapparat auch etwas spazieren, da es wohl eine längere Zeit zur Auflösung des gordischen Knotens bedurfte. Schneller als erwartet kam aber unser Fahrer zurück und sagte, wir sollen auch wieder einsteigen. Er startete und fuhr an den vor uns stehenden Autos bis zur Sperrstelle vor, was ich als gelinde Dreistigkeit empfand. Wir hatten jetzt vielleicht drei, vier Autos „gewonnen“. Nein, das war nicht seine Absicht. Er bog vor dem vordersten rechts ein und schoss auf die gesperrte Straßenseite, fuhr mit viel Verve mit seinem 4X4 (Landcruiser von Toyota) über „Stock&Stein“, über in meinen Augen unüberwindbare Hindernisse von Gestein und Geröll, und unterholte das schwere Arbeitsgerät über den Straßengraben und kam wieder dort auf die Spur, wo sie noch nicht so aufgegraben war. Hinter der Sperrung war die Straße logischerweise schön frei und die Fahrt kommod. Ende gut, alles gut!
Gegen 16.00 h erreichten wir Conakry. Teils autobahnartige vierspurige Straßen, teils Baustelle pur. Aber immerhin doch zunehmend Baustellen, auf denen auch gearbeitet wird. Staus gab es immer wieder bei reduzierten Fahrspuren. Es ist Rushhour! Auf den vierspurigen Strecken wird der Feierabendverkehr aus Conakry heraus dreispurig gefahren. Es läuft, scheint vernünftig, aber wer regelt das? Morgens läuft das in die andere Richtung ebenso. Die folgende 2-stündige Fahrt durch die Stadt zum Hotel Petit Bateau am Hafen, wo die Anlegestelle unserer „Fähre“ ist, war eine reine Katastrophe. Die Straßen, wirklich alle von uns befahrenen Straßen, stellten sich wie ein einziger Marktplatz dar. Kilometerlang aneinandergereiht, Verkaufsstände, kleine Werkstätten, alles, was man anbieten kann, fand und findet auf der Straße statt. Irgendwann ging mir dann unter dem Einfluss dieser optischen Reizüberflutung die seit Stunden stattfindende Berieselung durch – eigentlich schöne – afrikanische, hier würde man sagen World-Music auf die Nerven, die immerhin seit heute morgen von Anbeginn der Reise abgespielt wurde. Eine nicht vorhersehbare Vollsperrung der „Corniche sud“ zwang uns noch kurz vor dem Ziel zu einem weiteren Übertreten der nichtvorhandenen Straßenverkehrsordnung durch Einbahnstraßenverletzung. An der Peer Verabschiedung von Bailo (der zu sich nach Hause geht), von Kadiatou (die auch nach Hause geht) und auch für einen Tag von Tina (deren Simon es irgendwie nicht zeitig zum Hafen geschafft hat) und Übersetzen mit dem kleinen Motor-Boot auf die Insel Kassa. Fahrt von gut einer halben Stunde durch den Hafen von Conakry, an chinesischen und russischen Hochseeschiffen vorbei, nach Verlassen des Hafens auch vorbei an aus dem Wasser ragenden Schiffswracks. Die Stimmung ist sehr gut. Die Stimmung war überhaupt niemals schlecht. Nach Abschluss unserer Landpartie kann man resümieren, dass wir eine sehr harmonische Truppe waren. Es gab keine Animositäten, keine Spannungen, nicht nur keine wirklichen Konflikte, sondern auch kein erkennbares Konfliktpotential. Deswegen machte ich aus der „Teamauflistung“, in der wir uns im Aufenthaltsraum des OP-Hauses an der Wand unter „Mango 2017“ am letzten Tag verewigten, aus dem „Team 2“ das „Dream-Team 2“. Von allen akzeptiert und gerne verwendet.
Auf der Insel angekommen mussten wir noch einen kurzen Marsch auf die Gegenseite der schmalen Insel hinter uns bringen, um im Hotel Magellan bei Pascal anzukommen. Das Abendessen gab es nach Zimmereinrichtung und dem ersten Meeresbad (ja, auch ich!), dem ersten richtigen Duschen und nach dem ersten richtig frischen Bier: Poisson-capitaine mit Reis, Weißwein, Rotwein und Ausklang am Strand. Dieser endete unglücklich. War es Übermut? Zuviel Rotwein? Dabbigkeit? Jedenfalls stürzte Karl auf der Suche nach Getränken, im Dunkeln irrend und fast vor eine Wand laufend, in einen gut 1.50 m tiefen Betonschacht vor dieser Wand. Er schabte dabei heftig mit seiner linken Ferse am Schachtrand, prellte und schürfte sich die Innenseiten beider Oberarme. Das blieb auch noch zunächst von uns unbemerkt, bis Julia ein leises Rufen „Holt mich hier raus!“ vernahm. Zu Hilfe-geeilte zogen Karl aus der Grube und begleiteten ihn, der nicht richtig auftreten konnte, in sein Zimmer. Wie immer hätte es natürlich viel schlimmer kommen können. Aber das nützt Karl nichts, er war sehr angeschlagen. James will diese Nacht im Freien schlafen, auf einer Strandliege. Er holt sich seine Decke und wacht, wie er später erzählt, vor dem Sonnenaufgang auf nach einer schlaftechnisch nicht sehr komfortablen Nacht. Einer der 5 Hunde hatte ihn brav bewacht. James ist ja auch ein Hundefreund und -Besitzer. Was man von Conny nicht unmittelbar sagen kann. Aber auch für sie hatte der nicht vermeidbare nahe Hundekontakt evtl. doch einen therapeutischen Effekt.
TAGEBUCH-PROTOKOLL 27.01.2017 – 18.02.2017 (11)
15.2. Mittwoch. Ich schlafe fest wie lange nicht und wache um 8.20 h auf. James hat sich offensichtlich schon fertiggemacht und war die ganze Nacht draußen geblieben. Sein Bett war jedenfalls unberührt und in meinem großen Bett hat auch kein anderer gelegen. Duschen, Rasieren, Zähneputzen – ruhiges Aufstehen und angenehmer Tagesbeginn. Zum Frühstück sind alle schon versammelt. Typisch französisch: Baguettes, Aprikosenmarmelade, sogar Butter, ziemlich mittelmäßiger Kaffee mit Milchpulver (wie immer von Nestlé). Dann können wir sogar noch Omeletts bestellen – ein Leben wie Gott in Koolo Hinde! Strandvormittag – na ja, um 11.30 h sitzen Andreas und ich wieder auf der Terrasse zum ersten Bier. Andreas ist mit Conny schon eine schöne Strecke geschwommen, um die vorgelagerte Basalt- und Lavagesteins-Felsen herum zu der benachbarten Strandbucht weiter nördlich, an dem die kleine muslimische Familie den Tag verbringt (die weiße, bis auf das Gesicht vollverschleierte Mutti ist sicherlich eine konvertierte Französin, der nordafrikanisch anmutende Vater und zwei Kinder, die ebenfalls eher weiße Hautfarbe haben). Neben einem französischen jungen Ehepaar mit Sohn die einzigen Gäste. Zu Mittag hatten wir Salat bestellt, einige auch mit Fisch. Zwischenzeitlich sind Tina und Simon sowie Geli’s Verwandtschaft angekommen. Nach dem Mittagessen macht sich eine Mehrheitsgruppe auf den Weg zur Nordspitze der Insel Kassa, nach Soro. Karl, der Fußkranke, bleibt mit einem Rest zurück. Ich hatte anfangs auch Bedenken vor einem 2x ¾ Stunden Marsch wegen meiner Badeschlappen. Ich ärgere mich heute nicht das erste Mal über die Mitnahmewahl meines Schuhwerkes. Die Schlappen ärgerten mich eigentlich schon immer, auch wenn ich sie nur als Hausschuhe benutzt habe. Sie sind unbequem anzuziehen, weil zu eng. Besonders wenn sie nass werden, was gestern bei dem ersten Meeresbad dann doch Vorteile beim Schwimmen hatte. Zum Laufen eigentlich völlig ungeeignet haben sie auf dem kleinen Marsch heute noch ihren Sinn erfüllt. Jede andere Sandale von mir zu Hause hätte mir aber einen besseren Dienst erwiesen. Ich ärgere mich auch über die Zahl meiner mittransportierten langärmeligen Shirts. Ich trage jetzt am Strand nur noch kurzärmelige, die ich allerdings als Unterhemden oder Nachtwäsche mitgenommen habe. Braucht man alles nicht. An der Nordspitze der Insel befindet sich ebenfalls eine Hotelanlage, die ihre besten Zeiten schon lange hinter sich hat. Die einzelnen Bungalows sehen nicht so gepflegt wie im Hotel Magellan aus. Ebenso die Anlage selbst. Der Strand ist allerdings wesentlich attraktiver, breiter und flacher ohne Felsen im Wasser. Das wird der Grund sein, weswegen auch einige Leute mehr sich hier Ballspielend, chillend, Barsitzend und Hängematteliegend aufhalten. Eine größere Halle auf einer Terrasse scheint als Rezeption und Bar zu fungieren. Sie ist innen nicht sehr einladend, dunkel, wirkt verfallen. Trotzdem stehen auf der Terrasse vor dem Eingang zwei Hinweisschilder auf Essen und Trinken mit Preisen. Nach Betreten der Halle und Adaptation der Augen an die Dunkelheit kommen aus einer noch dunkleren Ecke zwei dunkelhäutige jungen Männer, die uns auf Anfrage Bier (zwei kalte Flaschen Skol, auf die dritte warme verzichteten wir) und drei Dosen Cola geben. Das Zusammenrechnen von 2x 10.000 GFR für das Bier und 3×15.000 GFR für die Cola gestaltet sich schwierig. Unser Gesamtpreisvorschlag von 65.000 GFR wurde dann aber doch nach langem Hin-und-Her akzeptiert und wir gaben 70.000 GFR! Nach dem Bad im Meer tat das erfrischende Getränke unter Palmen richtig gut. Der Rückweg unter glühender Hitze ist nochmal richtig schweißtreibend.
Bei Ankunft im Magellan entdecken wir noch neben dem Eingang die Schweinezucht, ein größeres Gelände, auf dem zahlreiche Säue und Ferkel herumliefen mit den Ebern hinter Gittern in einem Stall. Zwei einheimische Angestellten kümmerten sich um die Tiere. Ob das auch Moslems sind? Leider ist in unserem Hotel der Empfang von Telefonnetzen sehr dünn, nur in ganz wenigen ausgesuchten Ecken funktioniert die drahtlose Verbindung zum Rest der Welt. Pascal hat uns allerdings den Zugangscode zu seinem W-Lan gegeben, der aber auch bisher nur einmal funktionierte (wahrscheinlich, weil wir es unmittelbar bei seiner Anwesenheit genutzt haben und sein I-Phone der Hotspot ist). Ich gehe es jetzt noch einmal versuchen. Aber: Pascal muss erst konnektieren, dann klappt es. Er schaltet es leider auch schnell wieder aus. Jedenfalls kann ich noch ein paar Bilder übermitteln, er hat ein schnelles Netz. Auf der anderen Seite klappt die Telefonverbindung zu Jutta sehr schlecht. Zum Abendessen gab es Fisch, Entrecôte (als Spieß) und Steaks oder Poulets. Pommes frites, Bratkartoffeln, Erbsen, Salat. Mittlerweile ist es nach 00.30 h, Conny und Anne-Marie haben sich von der Strandliege verabschiedet, während James sich wieder sein Nachtlager auf zwei Strandliegen, heute mit Doppelauflage richtet. Karl ging lädiert etwas früher ins Bett, verspürte aber schon eine Besserung. Der Sonnenuntergang war bis 18.30 h relativ klar, dann versank die Sonne in einer Dunstschicht am Horizont hinter den Bergen der Île Fotoba, der gegenüberliegende ehemalige Kraterrand des Vulkans, der diese drei Inseln (Île Kassa, Île Room, Île Fotoba, zusammen: les Îles de LOS) bildete. Diese Dunstschicht wird verursacht durch den sog. Harmattan, ein Nord-Ost-Passat des Saharawindes, der hier zur Trockenzeit viel Sand und Staub aus der Wüste transportiert. Simon machte am Abend zahlreiche Fotos am Strand mit langer Belichtungszeit und zeigte mir anschließend die Kompositionen seiner künstlerischen Arbeit. Ich sprach mit ihm über Fotokurse und er bestätigte den Sinn solcher Seminare, Fotosafaris unter professioneller Anleitung. Die vielen Outdoor-Vorschläge der Allgäuer Kollegen kann man sich leider gar nicht alle merken. Aber sie sind ja im Allgäu jederzeit gerne ansprechbar. Ich werde jetzt bei offenem Fenster und offener Tür versuchen einzuschlafen. Es ist wieder Flut, das Wasser steht also 10 Meter vor unserer Tür.
16.2. Donnerstag. Der nächste Tag, die nächste Nacht. Die letzte vor dem Abflug! Die Abfahrt von der Insel ist am Freitag für 13.00 h, das Mittagessen für 12.00 h geplant. Der heutige Tag war dann ein echter Strandtag. Sand, Liege, Schwimmen in der Nachbarbucht, Mittag mit Bier und Calamares-Salat auf der Terrasse, Spätnachmittag GinTonic am Strand. Abendessen mit Lotte und Rotwein und – es musste ja so kommen – mit Resümee! Im Grunde waren nur Andreas, Eva und Geli die „Alten“, die Mangogrufties. Alle anderen waren Neueinsteiger, zumindest bei MANGO. Das Team sei eines der harmonischsten überhaupt bisher gewesen, der Ausgeglichenheit der Teilnehmer geschuldet. Animositäten gab es nicht. Medizinisch bestand auch in allen Fragen Konsens, Masse-machen war nie das Ziel. Wir hatten ausgefüllte OP-Tage, de fehlenden Anreisetag und ausgedehnte Sprechstunden. Unsere Komplikationsrate war zum Glück niedrig. Nach unserem Einsatz gab es ja auch niemanden, der diese hätte wirklich auffangen können. Es sollten auch Verbesserungsvorschläge gemacht werden, vielleicht später schriftlich weitergeben. Geli ist heute früh bereits mit ihrer Familie losgereist, sie hatte sich schon am Vorabend verabschiedet. Bailo wird morgen am Flughafen zu uns stoßen, hoffentlich mit unserem Gepäck! Das Einchecken hat mit Pascals W-Lan gut geklappt. Heute haben alle etwas Farbe bekommen, sodass wir als Afrikareisende nicht ganz so weiß zurückkommen. Ich freue mich riesig auf Familie, Jutta, Klamottenwäsche, Winter in Germany. James schläft ein letztes Mal auf seiner Strandliege (schnarche ich so laut?), alle anderen liegen wohl in ihren Betten. So ich auch jetzt!
TAGEBUCH-PROTOKOLL 27.01.2017 – 18.02.2017 (12)
17.2. Freitag. Eigentlich ist beim Niederschreiben schon der 18.2. Wir fliegen in Höhe Agadir. Es rumpelt ganz schön. Und Ansage: „Turbulances!“ Anschnallen! Zum Glück ist es mittlerweile etwas wärmer. Karl und Anne-Marie hatten schon Halsschmerzen. Bei diesen Temperaturen im Flugzeug werden morgen noch mehr krank sein. In Conakry war es noch sehr heiß. Auch die Wartezeit im Flughafengebäude brachte bis auf das erfrischende Bier keine Abkühlung. Ich bin nur froh, dass ich mir auf der Flughafentoilette noch mein langärmeliges T-Shirt angezogen habe. Der Abflug hatte sich 20 min. verspätet. Nach einem relativ langen Aufenthalt in Nouakchott haben wir mittlerweile die Zeit wieder aufgeholt. Das Abendessen im Flugzeug kam auch relativ spät. Aber jetzt haben fast alle von uns und der anderen Fluggäste auf Schlafmodus umgestellt. Zum Glück habe ich mir noch ein zusätzliches Fläschchen Merlot gesichert. Conakry als Ausklang, als Abschluss der Reise war nicht der Hit. Wir kamen pünktlich um 14.00 h am Peer beim Hotel Petit Bateau wieder an und fast gleichzeitig auch unser bestellter Bus (Marke Hinfahrt, aber neuer!). Wir verabschieden Tina und Simon, die noch ein paar Wochen vor Ort bleiben und ihre jeweiligen Projekte verwirklichen (Tina in der Unterrichtung von Frauengesundheit mit SEED e.V. und Simon mit gemeinsamen Musikern). Der gute alte Freund von Alimou, Lamine, war natürlich auch pünktlich da und dirigierte unseren Busfahrer nach unseren Wünschen. Zunächst stand der geplante Besuch in einem Textilladen der Fraueninitiative an. Alles selbstgemachte Klamotten für Frauen, Männer Mädchen und Jungs, Tischdecken etc. Ich erstand vier Tischdeckensets (Decken + Servietten) unterschiedlicher Größe und zwei Kleidchen für Valeria. Bin gespannt, ob sie es jemals trägt. Aber immerhin hat mich Julia fachfraulich beraten. Ein Problem könnte der Stoff werden, der sich ziemlich steif anfühlt. Und die Ansichten, ob das beim Waschen rausgeht, gingen auseinander. 500.000 GFR! Mehr hatte ich auch nicht. Auf der Insel hatte ich genau mit meinen letzten 280 € bezahlt. Gähnende Leere in der Geldbörse. Nächstes Ziel mit dem Bus war noch eine Schnitzerwerkstatt. Er war mir gleich zu voll. Vollgehängt bis an die hohe Decke mit sicherlich auch interessanten Dingen. Vollgestopft auch mit zu vielen Menschen. Bei solchen Besuchen muss ich mir Zeit nehmen, muss eigentlich alleine oder von jemand Kompetenten begleitet sein. Diese Unübersichtlichkeit gepaart mit der Übersichtlichkeit meines Portemonnaies betrachtete ich mir lieber von außen. Auch hier standen wieder die Stühle, ferner zwei scheinbar überdimensionierte Nimba-Figuren. Und es gab sogar noch eine zweite Etage. Bis der letzte wieder draußen war, wurden wir auf der Straße mehrfach von „mobilen“ Handyverkäufern, Simkartenverkäufern, Zigaretten- und Parfümverkäufern etc. angesprochen. Ich hatte häufiger mal den Eindruck, dass es sich in bestimmten Kreisen schnell rumspricht, wenn irgendwo Weiße, Fremde unterwegs sind. Auf unserer Tour durch die Stadt betonte Lamine immer wieder: „C’est le centre ville, le vrai centre“. Als müssten man es auch immer wieder betonen. Eigentlich hatte er Recht damit. Man erkannte es eigentlich nicht, weder aus dem Bus heraus, noch beim Rumlaufen. Es gab keinen Unterschied zu den anderen bereits erlebten Stadtbezirken Conakrys. Die Straßen, der Straßenbelag, die Gehwege waren überall gleich, defekt, asphaltlos, vermüllt. Verkaufsstände gab es hier wie in der ganzen Stadt. Das eine oder andere Haus war auch mal etwas höher. Das Menschen- und Autogewimmel unterschied sich ebenfalls nicht.
Unser nächstes Ziel war ein Obstmarkt. Wir wurden an eine größere Straße gefahren. Wir parkten am Straßenrand und stiegen bis auf den Fahrer aus. Lamine führte uns in eine winzige, verdreckte Seitengasse, in der beidseits sich Händlerstände befanden. Zunächst kein Obst. Rechts ging es in die nächste Seitengasse. Hier befanden sich auf der linken Seite zunächst eine ganze Reihe von Waschbecken (wofür?) und anschließend nebeneinander aufgereiht Näher und Näherinnen, die an ihren chinesischen mechanischen Nähmaschinen saßen und fleißig ratterten. Obst gab es dann aber erst in der nächsten Gasse, die dann auch wieder nach rechts bog zur Hauptstraße. Es gab einige Obst- und Gemüsestände, besser „Auslagen“. Denn es war nicht schön geordnet dargeboten, sondern eher auf dem Boden aufgeschüttet. Es gab mir auch zu viele Fliegen. Das Bedürfnis, von den Mangos, Ananas und großen Bananen etwas zu erstehen, war bei einigen nicht erloschen. Mich machte nicht ein Stück Obst an. Ich weiß nicht, warum Lamine uns hier absetzte, aus folkloristischen Gründen oder weil er es nicht wirklich kannte oder weil es für ihn normal war? Später fuhren wir noch an riesigen neuen Markthallen entlang, die sicher auch interessant gewesen wären. Aber unsere Zeit war auch begrenzt. So hatte ich mich schon auf der Hauptstraße in der Nähe des Busses aufgestellt, wartete die Einkäufe ab und hatte den Bus im Blick. Ein unterschenkeldeformierter Gehbehinderter wartete in seinem Rollstuhl auf unsere Gruppe um ein Almosen. Ich ignorierte ihn zunächst, als wir aber wieder gemeinsam zum Bus gingen, gab ich ihm noch 20.000 GFR, die ich noch in meiner Hosentasche gefunden hatte. Seine Deformierung der Beine konnte ich nicht richtig einordnen. Die Unterschenkel hingen irgendwie verkümmert und verdreht den Rollstuhlsitz herunter. Er freute sich offensichtlich sehr über die Gabe und folgte uns noch lächelnd – ich empfand: innerlich dankend – bis zum Bus. Ich hatte ihn auch zwischendurch heimlich fotografiert. Einen anderen Rollstuhlfahrer hatte ich auch vor ein paar Tagen aus dem Bus heraus fotografiert, da mich Geli darum gebeten hatte. Sie hat mit guineischen Partnerorganisationen das „Projekt Sundjata“ initiiert, „Hilfe zur Selbsthilfe für Menschen mit Handicap in Guinea“. Hierfür flog sie ja auch schon zwei Tage vor uns nach Conakry. Es gab damals ein Treffen mit der guineischen Sozialministerin, die für das Projekt gewonnen werden sollte. Ein Projekt, mit dem versucht wird, Menschen mit Handicap die Möglichkeit auf Bildung und Ausbildung zu geben und ihnen so die Möglichkeit auf ein eigenständiges Leben zu eröffnen. Geli selbst ist ja das beste Beispiel für einen Menschen, der sich mit seinem Handicap in seiner Welt zurechtgefunden hat, sich zu Recht gekämpft hat; nicht nur genügend Selbstwertgefühl besitzt, sich in einer Welt der „Gesunden, Schönen, Reichen“ zu behaupten, sondern auch noch das Engagement aufbringt, selbiges anderen Menschen mit körperlichen oder seelischen Einschränkungen zu ermöglichen. Größter Respekt! „Centre ville fini! Une catastrophe!“ Nein, eigentlich gab es doch hin und wieder ein paar Unterschiede zum übrigen Conakry: Lamine schließlich wies uns immer wieder beim Durchfahren der City auf neuere, neue, teils unfertige Gebäude hin, welche tatsächlich abstachen und – isoliert betrachtet – ein Flair von Hauptstadt, Metropole vermittelten. Eine Bank, ein Hotel, ein Verwaltungsgebäude.
Auf dem Weg zum Flughafen nahmen wir wieder die vierspurige Ausfallstraße. Da drei Spuren für den Verkehr stadtauswärts benutzt wurden, ging es ohne Stau vorwärts. So waren wir relativ früh am Airport. Bailo wollte erst um 17.00 h mit unserem Gepäck auf dem Parkplatz sein. Somit schlug Lamine vor, noch eine Erfrischungspause einzulegen. Er führte uns in ein Restaurant am Flughafen, wo wir tatsächlich in einem klimatisierten Raum, der ein wenig wie ein Wohnraum anmutete, rundherum um einen großen Tisch saßen und auf der Kunststoffdecke kaltes Bier, kalte Cola, Wasser etc. genießen durften. Die Wohnzimmeratmosphäre wurde durch die netten Gastleute bestärkt. Man unterhielt sich; die Gastmutter hätte gerne neben dem Foto ihres Präsidenten Prof. Alpha Condé („le Panafricaniste“ stand auf großen Werbeplakaten in der Stadt) an der Wand noch ein Bild von Angela Merkel gehabt (wir hatten keines dabei, dommage!). Obama hing natürlich auch schon da. Ich googelte mal schnell unter dem Tisch, fand aber kein gemeinsames Bild von Merkel und Condé, nur das Glückwunschschreiben Merkels zur Wahl Condé’s 2010: „der ersten freien Wahl Guineas“. Die Geschichte seiner Vorgänger ist vielschichtig. Andreas hat immer mal davon erzählt, wie er in seinen letzten 20 Mangojahren viele Wechsel erlebt hat, die auch immer wieder Einfluss auf die Arbeit von MANGO vor Ort hatten. Nicht nur Ebola hatte hier seine Auswirkungen. Die drei Tage auf der Insel taten auch unserem Austausch von Erfahrungen gut. Wir konnten nicht nur ausspannen, sondern auch viel erzählen. Und es gab viel Zeit und Muße zum Lesen (für die mit Buch, oder Zeit – Karl hatte sicher bis zum letzten Tag seine „Zeit“ von vorne und hinten gelesen). Ich habe „vergessen“, lesenswertes mitzunehmen. Mein Topografie-Buch jedenfalls war für die Katz‘. Besser wären die beiden französischen Bände „La Rousse médicale“ gewesen, die ich auch hätte dort unten lassen können. Aber für Lesestoff sollte man sich noch ein wenig Platz im Koffer lassen. Auch schon für die Zeit in Koolo Hinde. Mehr Tage hätten es auf der Insel jedenfalls auf keinen Fall sein dürfen. Das hält „man“ dann auch nicht mehr aus, zumindest mit Andreas bin ich da einer Meinung. Aber es gibt sie eben auch, Eva z.B., die gerne am Strand liegen, ihre Ruhe genießen, lesen bis zum Abwinken. Vielleicht denkt Eva auch schon an zu Hause, wo sie evtl. alleine ist, an die Arbeit in Immenstadt, wo sie sicher äußerst gewissenhaft und verantwortungsbewusst bei der Sache ist. Sie ist mir auch in Koolo Hinde durch ihren Arbeitsstil aufgefallen, der keine Nachlässigkeit zuließ und die guineischen Patienten immer in besonderem Maße einbezog. Sie war generell stets den Menschen zugewandt. Auf der Insel Kassa war sie meistens am Strand etwas abseits und las. Sie hatte auch ihr Einzelappartement, wie auch Karl, der sich in „gegenseitigem Einvernehmen“ gerne von Andreas als Zimmerpartner getrennt hat. Das hing für Andreas zunächst mit Karl’s Schnarchen zusammen, für Karl vielleicht die Gewöhnung, da er auch zuhause alleine ist. Beides nachvollziehbare Gründe. Karl empfand ich bei seiner Arbeit in Koolo Hinde ebenfalls als sehr erfahrenen und engagierten Gynäkologen. Wenn er manchmal etwas unorientiert wirkt, hatte er doch immer alles im Griff, selbst wenn er gerne Hilfe auch für sonderliche Dinge in Anspruch nahm, z.B. beim Einziehen der Schnürsenkel in die ungebetenerweise gewaschenen Sportschuhe. Seine nicht-gynäkologisch gefüllte „Arbeitszeit“ nutzte er dankenswerterweise zur allgemeinen Verbandssprechstunde. Und nun war Karl auch noch in die Grube auf der Insel Kassa gestürzt! Das war wirklich schlimm. Heute morgen habe ich ihm einen meiner knallgrünen Unterschenkel-Kompressionsstrümpfe an das verletzte und die letzten Tage stärker geschwollene Bein angelegt. Anschließend war ich wieder duschreif, so eng war dieser Strumpf. Eine meiner beiden Rückfahrt-NMH-Spritzen gab ich ihm auch noch. Und bisher ist er mit allem gut über den Tag gekommen. Tina war mit ihrer Sprunggelenktorsion jetzt auch weitgehend beschwerdefrei und brauchte keine Verbände mehr. Nach der Rückkehr muss Karl aber in Nachbehandlung und zum MRT (habe ich ihm jedenfalls ans Herz gelegt). Er wollte auch meine Adresse, damit er mir meinen Strumpf zurückschicken kann. „Das wolle er lieber gleich erledigen“. Na ja, vorbeikommen solle ich natürlich trotzdem. Er hatte ja beim ersten Rotwein auf Pascals Terrasse schon in Aussicht gestellt, dass sein Weinkeller gut (besser) bestückt ist. Jetzt höre ich seit Stunden mit kurzen Unterbrechungen über Kopfhörer „Radio-classic“, den Sender 2 auf der Tastatur, die sich herausnehmbar in der rechten Armlehne befindet. Sehr erheiternd, überhaupt nicht ermüdend, abwechslungsreich und LAUT! Zwischendurch kontrolliere ich immer wieder, ob meine Nachbarn nicht ungewollt mithören.
Die Abflugschilderung steht noch aus. Bailo und später mit einem zweiten Auto auch das Gepäck kamen einigermaßen pünktlich zum vereinbarten Parkplatz. Wir mussten dann noch mit Eile einiges umpacken. Alles, was noch käuflich erstanden wurde, musste verstaut werden und einige wollten sich gleich umziehen. Dafür wurden dann Tücher als Garderobenvorhänge gehalten. Ich erledigte das erst in der Toilette der Wartehalle. In meine schwarze große Reisetasche passte noch der 2-Bretter-Stuhl von James, was dann doch wieder zu einem Gesamtgewicht von 23,5 kg führte. Ich fühlte mich persönlich ganz gut organisiert, was das Packen, Wäsche und Notwendiges für den Flug betraf. Ich stelle nur fest, dass ich dazu auch Muße und Zeit brauche! Und diese hatte ich an diesem Freitagmorgen, an dem ich früh aufgestanden war, frühzeitig beim Frühstück saß, kein Buch noch schnell fertiglesen musste und auch nicht mehr in die Meeresfluten tauchte. Dafür duschte ich noch einmal kurz vor dem Abmarsch aus dem Hotel. Karl wurde mit dem Gepäck auf dem Anhänger des Quadrollers zur Anlegestelle transportiert und ins Boot gehievt. Bevor ich mich von Pascal verabschiedet habe, hatte ich ihm noch die Leidensgeschichte von Karl erzählt, damit er evtl. Vorkehrungen (Abdeckung) trifft, um solches in Zukunft zu verhindern. „Jamais, jamais, jamais est quelqu’un tombée, c’est le premier fois! Peut-être il a eu un verre de trop?“ Aber er will doch etwas darüberlegen. Merci! Bei der Abrechnung gab es dann doch noch ein wenig Stress. Simon hatte Probleme wegen der Aufteilung der gemeinsamen Kosten (außer Zimmer). Das hatten wir allerdings auch vorher abgesprochen, als aber wahrscheinlich Tina und Simon noch nicht bei uns waren?! Andreas erläuterte die Situation mit den bereits in den gesponserten Flugkosten enthaltenen Vorteilen für einzelne. Aber es glättete sich alles. Und im Endeffekt sind wir ja auch jetzt auf FB alle befreundet ;=))
TAGEBUCH-PROTOKOLL 27.01.2017 – 18.02.2017 (13)
18.2. Wir fliegen über Nordafrika. Natürlich – ich schrieb es allerdings schon – es ist bereits der 18.2. Der 17.2. ist mittlerweile im wahrsten Sinne des Wortes im Fluge vergangen. Obwohl immer wieder Dinge aus den letzten drei Wochen hochkommen, die noch nicht schriftlich fixiert sind. Ich erinnere mich an den Rückflug mit der Familie aus Madagaskar (mit dem Sekt-zechenden urologischen Großwildjäger aus dem Ruhrgebiet) und an den Rückflug aus Vietnam, auf dem ich mit Franziska mehr oder weniger die Nacht durchzechte, während Jutta im hinteren Teil des Flugzeuges zwei Plätze zum Schlafen angeboten bekam. Hier bin ich weitgehend alleine – nur Musik. In 2½ h müssten wir Paris erreichen. Zwischen den einzelnen Musikstücken werde ich von der Ansagerin regelmäßig gefragt „Vous êtes bien?“ Dafür sagt sie leider nicht die Stücke an, die gespielt werden. Einige – Beethoven, Bach und Mozart – erkennt man, wobei: eine genaue Angabe der Sätze z.B. wäre hilfreich. Und die unbekannten sowieso. Bisher läuft die Rückfahrt insgesamt ohne Probleme. Eigentlich wie erwartet. Das Unheil der Hinfahrt begann ja schon in Frankfurt mit der geschilderten Häftlingsüberführung. Wir kommen jetzt wieder nach Europa zurück und haben mit eigenen Augen gesehen, was das Elend dieses Kontinentes ist, vor dem sich Europa nicht abschotten kann. Auch nicht darf, denn es hat einen Großteil der Probleme dieses Kontinentes selbst mit verursacht. Die Probleme Afrikas sind auch unsere Probleme! In Afrika heißt es zwar meistens „Pas de problème!“ – aber das ist gerade eins der Probleme! Und dann kommt tatsächlich plötzlich PARIS! Ich hatte den gesamten Flug nicht geschlafen, nur geschrieben, Musik gehört. Aber auch die anderen, die zeitweise schliefen oder zu schlafen schienen, klagten über mangelnde Nachtruhe, Kälte-Klimatisation, Rückenschmerzen, Halsschmerzen. Bailo hatte zeitweise zusätzlich zum Kälteschock noch starke Kopfschmerzen wegen schlechtem Druckausgleich. Die Fahrwege über das Pariser Flugfeld mit den Navettes jaunes waren wieder wie bei der Hinreise und wie vermutet unverständlich lang. Wir (Frankfurter) müssen wieder von Terminal 2E nach Terminal 2G, die Münchener nach Terminal 2F. Das war auf dem Hinflug alles nicht so einfach zu finden. Die Münchener hatten dabei Probleme, überhaupt noch rechtzeitig anzukommen. Der Abschied von ihnen erfolgte dann im Terminal 2E. Danke, es war wirklich eine große gemeinsame menschliche Erfahrung! Der Kaffee und das Croissant im Terminal 2G und der Toilettengang waren Erlösung und Erholung zugleich. Von hier ging es wieder mit dem Bus über eine lange Strecke zu unserem HOT!-Flieger. Der Abflug verzögerte sich dann auch wieder um fast 1 h, sodass wir erst um 8.22 in die Luft gingen. Vorher mussten auch noch die Tragflächen enteist werden. Welch krasser Kontrast zum schwül-heißen Conakry! Frankreich und Deutschland lagen unter einer dichten Wolkendecke, welche von oben aus dem Flugzeug heraus wie ein frisches Pulverschneefeld anmutete. Irgendwann reduzierte der Pilot die Geschwindigkeit und senkte den Flieger scheinbar blind und ziellos in die Wolkendecke. Plötzlich eröffnete sich der Blick auf das Rhein-Main-Gebiet. Der Landeanflug ging über Offenbach, an der EZB und der Skyline Frankfurts vorbei und wurde sanft zu Ende geführt. Heimischen Boden unter den Füßen! Der Gepäcktransport hat auch geklappt. Alle fanden ihre sieben Sachen wieder und nahmen mit Dankbarkeit und Freude ihre Lieben in die Arme. Jutta war wie vereinbart mit Theo gekommen, sodass für mich die Freude doppelt groß war. Nur Bailos Kinder waren leider doch nicht rechtzeitig zum Flughafen gekommen. Halt, James muss doch noch seinen Stuhl aus meiner Tasche erhalten, seinen afrikanischen Klappstuhl!
EPILOG
Guinea ist ein westafrikanisches Land, welches 1958 die französische Kolonialherrschaft abstreifte. Sékou Touré (ein Name, der mir aus meiner „maoistischen Partisanenvergangenheit“ eher positiv im Ohr klingt) war der Führer der gewerkschaftlich-kommunistisch orientierten Einheitspartei und wurde erster Präsident Guineas. Nach der Machtergreifung lehnten die Antikolonialisten unter Sékou Touré jede Unterstützung und Zusammenarbeit mit der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich ab. Trotz zahlreicher Bodenschätze und einer fruchtbaren Landwirtschaft schaffte es Sékou Touré in seinen 26 Amtsjahren nicht, der guineischen Bevölkerung eine gesunde wirtschaftliche Basis zu schaffen. Im Gegenteil: Er baute den jungen, mit viel Optimismus gegründeten, von der alten Kolonialmacht unabhängigen Staatsapparat zu einer Diktatur aus; ein Phänomen, welches nicht untypisch ist für die ehemaligen, zunächst auf der ganzen Welt von Millionen von Sympathisanten unterstützten Befreiungsbewegungen. Sékou Touré verstarb 1984 in Cleveland/USA bei einer Herzoperation. Es wurde eine Militärherrschaft errichtet, die 1998 mit der „ersten demokratischen Präsidentschaftswahl“ (Wikipedia) in der Amtsbestätigung von Lansana Conté mündete. Politisch, wirtschaftlich, gesundheitspolitisch gab es jedoch keine wirklichen Fortschritte für die knapp 10 Millionen Guineer. Bürgerkriege in den Nachbarstaaten Liberia und Sierra Leone führten zudem zeitweise zu einer großen zusätzlichen Belastung durch Hunderttausende Flüchtlinge.
Erst nach der Diktatur unter Sékou Touré 1984 konnte Dr. Alimou Barry, der Gründer des Vereins „MANGO e.V.“ wieder in seine Heimat zurückkehren und damit beginnen, seine Vorstellungen über eine ihm mögliche Hilfe in der Gesundheitsversorgung zu verwirklichen. In seinem Heimatort Koolo Hinde wurde von dem Verein ein operatives Gesundheitszentrum errichtet, nachdem anfangs Operationen noch im Kreisstädtchen Dogomet durchgeführt wurden. Nach der Errichtung der École pimaire und des Poste de Santé durch gemeinsame Anstrengungen der Familie Barry und der kanadischen Botschaft in Koolo Hinde waren das Operationszentrum, das Patientenhaus und die Unterkünfte für die Mango-Helfer das nächste große Projekt, das von Mango verwirklicht wurde. Selbst kleinere Brücken über Bäche zwischen Dogomet und Koolo Hinde wurden errichtet, um auch Container-LKW’s die Zufahrt zu ermöglichen.
Im Jahre 2010 wurde nach Jahren des Stillstandes, der tiefgreifenden Korruption und mit einer unzufriedenen Bevölkerung, deren Lebenserwartung 1990 noch unter 50 Jahren lag (heute knapp 60 Jahre), die „ersten demokratischen Wahlen“ (Grußschreiben von Kanzlerin Merkel) durchgeführt und Prof. Alpha Condé zum Präsidenten gewählt. Tatsächlich wurde mit dieser Wahl die unsichere Zeit der Präsidentschaft von Lansana Conté, der 2008 verstarb und erneut von einer Militärherrschaft abgelöst wurde, beendet. Generalstreiks erschütterten das Land. 2009 gab es ein Blutbad durch die Militärs. 2014 und 2015 wurden die Länder Sierra Leone, Liberia und Guinea von der größten Ebola-Epidemie des Kontinentes heimgesucht. Sie hatte dramatische Folgen besonders auch im Gesundheitswesen. MANGO selbst konnte deswegen 2015 auch keinen Einsatz in Koolo Hinde verantworten.
Im Verein MANGO gab es zwischenzeitlich auch einen Generationswechsel. Der Cousin von meinem Frankfurter Kollegen Alimou Barry, Bailo Barry, übernahm den Vorsitz des Vereins und begleitete 2017 unser Team 2 wie beschrieben. Hier zeigt sich vielleicht auch ein Dilemma der Situation in Ländern wie Guinea. Die Elite des Landes hat im eigenen Land kaum Perspektiven. Nicht einmal die Löcher, die die Ebola-Katastrophe unter den Gesundheits“arbeitern“ riss, können kurzfristig gestopft werden. Ganz zu schweigen von dem großen strukturellen Mangel in allen Teilen der öffentlichen Verwaltung. Und solange Länder aus der europäischen Union, aus Nordamerika und dem nahen und fernen Osten Afrika als Spielball ihrer neo-imperialen und monopol-kapitalistischen Handels-Politik behandeln, wird sich an der katastrophalen Situation in den ärmsten Ländern dieser Erde nichts ändern. Die jeweilige Korruption in diesen Ländern (Guinea galt 2006 als das korrupteste Land Afrikas) wird von den ausländischen Profiteuren ebenso geduldet, bzw. genutzt wie die Macht der Militärs, deren zweifelhafte Ausbildung im Falle Guineas u.a. auch bei der Bundeswehr erfolgte. Auch hier wieder ganz zu schweigen von den Waffenlieferungen an die herrschende Elite. Guinea ist zum Glück noch verschont von islamistischem Terror wie im Nachbarland Mali. Oder wie im nicht weit entfernten Nigeria. Die Menschen in Guinea, diesen Eindruck hatte ich unbedingt bei meinem ersten Besuch, sind auf dem Land freundlich, aufgeschlossen, demütig. Sie leben in ihrer Bescheidenheit und Armut einen gemäßigten Islam. Aber wie schnell kann aus dieser Haltung auch Verzweiflung entstehen? Verzweiflung, die in Fanatismus mündet, weil die Herrschenden keine Alternativen bieten, weil sie sich immer weiter von der Bevölkerung entfernen. Wie schnell kann ein geduldeter Analphabetismus von 56 % der Gesamtbevölkerung, eine hohe Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit unter der Jugend umschlagen in Terrorismus?
Die Einsätze des Vereins MANGO sind auf dem Hintergrund der weit verbreiteten Armut in Guinea ein kleiner Beitrag, vielleicht nur ein Tropfen auf einen heißen Stein. Aber sie sind bewundernswert und erscheinen mir sinnvoll. Es ist eine Hilfe von 20-25 von 80 Millionen Menschen aus Deutschland an 6 von 52 Wochen im Jahr, die dort ankommt, wo sie gebraucht wird: Bei Aissatou, bei Mamadou, bei Alphadou und Ibrahima, bei Boubarcar und Thierno. Und auch bei Kadiatou, die in den drei Wochen gelernt hat, selbstständig eine Spinalanästhesie durchzuführen und Abdoulay Taran, der insgesamt 6 Wochen die Möglichkeit hatte, ein breites Spektrum chirurgischer Operationen zu assistieren. Und wenn diese 20-25 hilfsbereiten Menschen aus Frankfurt, Oberursel und Offenbach, aus Immenstadt und Sonthofen oder Dresden zusammen mit den vielen Hunderttausenden im ganzen Land in ihrem Umfeld, in der Familie, in der Schule und am Arbeitsplatz über die Situation und die Lage in Guinea sprechen; wenn sie Einfluss nehmen auf die Entscheidungsträger in ihrem Land, die erpresserische Handelsverträge erarbeiten, unfaire Fischfangquoten festlegen und Rohstoffe ergaunern, oder wenn sie sich selbst in die Entscheidungen einmischen, nur dann sehe ich auch eine Chance, dass die gleich gut gewillten Menschen in Guinea es schaffen können, ihr Land in eine blühende Heimat zu verwandeln, in dem die Schätze des Landes ihnen selbst zur Verfügung stehen und ihnen selbst zugutekommen.
Diskussionswürdiger Beitrag zu diesem Thema: https://perspective-daily.de/article/239/OqQCxvXR
Anmerkung: Nach der Rückkehr muss sich Karl an einer Achillessehnenruptur operieren lassen. Ein großer Teil der Teilnehmer muss eine Erkältung oder Bronchitis als Rückfahrt- und Rückflug-Folge auskurieren (und hier in der Heimat grassierte auch eine Erkältungswelle). Ich selbst bin froh, meine Familie, inklusive meinen 100-jährigen Vater „in alter Frische“ wiederzufinden. Ich bin erstaunt und erfreut zugleich über das große Interesse und die Empathie an meinen Erlebnissen, über den großen Bedarf an Informationen und an unmittelbar erlebten konkreten Schicksalen. Wir sind alle froh, dass über Bailo, der Kontakt zu Camano hat, keine negativen Berichte über die weitere Versorgung unserer Patienten zu uns kamen.